Seuchen: Planen, Prävention und Preparedness als Zukunftspraxen

Seuchen: Planen, Prävention und Preparedness als Zukunftspraxen

Veranstalter
Institut für Ethik, Geschichte und Philosophie der Medizin der Medizinischen Hochschule Hannover und Historisches Seminar der Leibniz Universität Hannover (Wiebke Lisner, Heiko Stoff und Jonathan Voges)
Ausrichter
Wiebke Lisner, Heiko Stoff und Jonathan Voges
Veranstaltungsort
Hannover
Gefördert durch
DFG
PLZ
30159
Ort
Hannover
Land
Deutschland
Findet statt
In Präsenz
Vom - Bis
07.12.2023 - 08.12.2023
Deadline
01.12.2023
Von
Wiebke Lisner, Institut für Ethik, Geschichte und Philosophie der Medizin, Medizinische Hochschule Hannover

Der Workshop untersucht Strategien von Planung, Konzepte von Prävention und Preparedness mit denen nationale Staaten, ebenso wie internationale Organisationen, wie die World Health Organization, auf globale und nationale Bedrohungen durch Infektionskrankheiten und unbekannte Erreger im 20. und 21. Jahrhundert reagierten.

Seuchen: Planen, Prävention und Preparedness als Zukunftspraxen

Die nächste Pandemie sei zu erwarten – niemand wisse wann, oder wo sie ausbrechen würde; sicher sei nur, dass sie komme, fasste die Wissenschaftsjournalistin Laurie Garrett 2003 das internationale Bedrohungsgefühl nach der SARS-Pandemie zusammen.
Seuchen und Pandemien sind Teil der Menschheitsgeschichte. Wann immer sie auftraten, wurden sie als existentielle Bedrohung oder gar Katastrophe mit dramatischen gesundheitlichen, ökonomischen, sozialen und politischen Konsequenzen wahrgenommen, die es gerade deshalb am besten zu verhindern gelte. Sollte dies nicht möglich sein, so sollten doch zumindest ihre Auswirkungen abgemildert werden. Jüngst konnten wir dies während der Covid-19 Pandemie erfahren, deren Ende wieder die Frage aufwarf, wie Derartiges in Zukunft ausgeschlossen bzw. wie sich auf ähnliche Fälle vorbereitet werden könnte.
Zahlreiche Infektionskrankheiten, wie Tuberkulose, Kinderlähmung und Diphterie stellten noch bis in die 1960er Jahre hinein alltägliche Erfahrungen der Menschen dar. Fortschritte in der Medizin (z.B. Antibiotika) und erfolgreiche Präventions- und Impfprogramme (so das Pockenprogramm der WHO) verbannten in den Folgejahren zumindest im globalen Norden Infektionskrankheiten aus dem Alltag. Erst durch AIDS/HIV geriet die Gewissheit einer „immunen Gesellschaft“ (Malte Thießen) ins Wanken. Neue oder wieder aufkommende ansteckende Krankheiten trafen auf Gesundheitssysteme, die im Zuge neoliberal begründeter Einsparungen massiv abgebaut worden waren und sich so als „woefully unprepared“ (Garrett) erwiesen.
Im Kontext der zunehmenden Globalisierung seit den 1990er Jahren bekam die Wahrnehmung von Seuchen eine neue Dimension: Infektionskrankheiten wurden nun als ein „globales Risiko“ betrachtet, das, gedacht als katastrophisches Ereignis, die Entwicklung von Wohlstand gefährdete und gar die Governance moderner Staaten in Frage stellte. Seuchen erschienen quasi als „Schattenseite“ der Globalisierung; ermöglichte doch der immer schnellere Transfer von Menschen und Waren die Verbreitung von Krankheitserregern in rasender Geschwindigkeit. Nichtsdestotrotz erwartete die Bevölkerung einen umfassenden Gesundheitsschutz. In den Händen von Terroristen stellten sie in Form biologischer Waffen eine zusätzliche Bedrohung dar. Die Furcht vor Pandemien löste weltweit die Angst vor einem Atomkrieg ab, der nach dem Zerfall des Ostblocks immer unwahrscheinlicher erschien. Ein Pestausbruch 1994 in Indien, Ebola 1995, BSE in den 1990er Jahren und SARS in den frühen 2000er Jahren befeuerten das Bedrohungsgefühl. Die Populärkultur nahm diese Angst auf, bereitete sie genretypisch (Outbreak, The Hot Zone) auf und lieferte so die Bilder und Rezeptionsweisen, die Grundlagen zur Interpretation realer pandemischer Vorfälle wurden. Der Ausbruch eines katastrophischen, weltweiten Infektionsgeschehens erschien, wie von Laurie Garrett geschildert, unausweichlich.
Internationale Organisationen, wie die World Health Organization (WHO), die sich in den 1990er Jahren neuformierende Europäische Union (EU) und die Nationalstaaten reagierten auf die globale Bedrohung durch Masseninfekte und unbekannte Krankheitserreger mit umfassenden Planungen. Genau diese Techniken und Strategien von Planung und Kommunikation sollen im Rahmen des Workshops aus verschiedenen Perspektiven und in ihren unterschiedlichen Facetten als Zukunftspraxen untersucht werden. Von welchen möglichen Zukünften gingen die Planer aus und inwiefern suchten sie diese zu beeinflussen und welcher „futuristischer Technologien“ (Lucian Hölscher) bedienten sie sich dafür? Inwiefern brachten sie präventive Maßnahmen und Preparedness-Strategien (Anderw Lakoff) in Anschlag, um den Ausbruch von Seuchen zu verhindern bzw. um durch eine bestmögliche Vorbereitung auf ein Seuchengeschehen reagieren zu können?
Im Mittelpunkt des Workshops stehen seuchenpolitische Akteur:innen, Planungen und Konzepte von Prävention und Preparedness seit dem Ende des 19. Jahrhunderts und vor allem in der jüngsten Zeitgeschichte seit den 1990er Jahren.
Eine Teilnahme ist begrenzt nach vorheriger Anmeldung bis zum 01. Dezember 2023 möglich.

Programm

Donnerstag, 07. Dezember 2023

Einführung
(Wiebke Lisner, Institut für Ethik, Geschichte und Philosophie
der Medizin, MHH und Jonathan Voges, Historisches Seminar, Leibniz Universität Hannover/ Historisches Institut, Justus-Liebig Universität Gießen)

Keynote
- Malte Thießen (LWL-Institut für Regionalgeschichte, Münster)
Pandemien planen, Gesellschaften ordnen und Zukünfte gestalten vom 19. Jahrhundert bis heute

Panel 1
Für Seuchen planen
(Marcel Mertz, Institut für Ethik, Geschichte und Philosophie der Medizin, MHH)
- Thomas von Lengerke (Forschungs- und Lehreinheit Medizinische Psychologie, MHH):
„Preparedness“: „Buzzword“ oder Konstrukt mit Mehrwert? Eine begriffliche Analyse im Kontrast zu „Prävention“
- Fabian Standl (Institut für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie, Universitätsklinikum Essen):
Epidemiologische Charakteristika von Epi- und Pandemien, eine epidemiologische Perspektive auf Basis historischer Daten
- Sven Opitz/ Finn Langbein (Institut für Soziologie, Philips-Universität Marburg):
In-Situ Planning: Simulating the Event-Space of the Pandemic

Panel 2
Akteur:innen
(Heiko Stoff, Institut für Ethik, Geschichte und Philosophie der Medizin, MHH)
- Axel C. Hüntelmann (Institut für Medizingeschichte, Charité Berlin):
„Bewertung von Risiken für die Gesundheit“. Konzepte der Seuchenbekämpfung in der Frühgeschichte des Bundesgesundheitsamtes
- Karen Nolte (Institut für Medizingeschichte, Universität Heidelberg):
Pflegenotstand trifft auf Pandemie – Entwicklungen in der Krankenpflege von den 1950er bis 1980er Jahren

Freitag, 08. Dezember 2023

Panel 3
Präventionspraxen
(Eberhard Wolff, Universität Zürich)
- Laura-Elena Keck (Leipzig Lab Global Health, Universität Leipzig):
Gelbfieber-Prävention in Südafrika als transregionales Projekt, 1930er- bis 1950er-Jahre
- Jutta Braun (Leibniz-Zentrum für Zeithistorische Forschung, Potsdam):
„Ein Feind wird verschluckt“ – Weshalb die Bundesrepublik in der Corona-Pandemie versuchte, von der Diktatur zu lernen

Panel 4
(Cornelia Rauh, Historisches Seminar, Leibniz Universität Hannover)
- Bernd Gausemeier (Institut für Ethik, Geschichte und Philosophie der Medizin, MHH):
Krieg gegen Viren als Fortsetzung imperialer Politik mit anderen Mitteln? Global Health und Pandemic Preparedness in den Strategien US-amerikanischer Thinktanks
- Matthias Katzer (Institut für Ethik, Geschichte und Philosophie der Medizin, MHH):
Was darf medizinische Forschung in Pandemien? Kontroversen der Forschungsethik 2000-2020

Abschlussdiskussion
(Wiebke Lisner, Institut für Ethik, Geschichte und Philosophie der Medizin, MHH und
Jonathan Voges, Historisches Seminar, Leibniz Universität Hannover/ Historisches Institut, Justus-Liebig Universität Gießen)

Kontakt

Wiebke Lisner, lisner.wiebke@mh-hannover.de

Redaktion
Veröffentlicht am
Beiträger
Klassifikation
Weitere Informationen
Land Veranstaltung
Sprach(en) der Veranstaltung
Deutsch
Sprache der Ankündigung